Radikal neoliberal

Arbeitsrecht, Renten, Gesundheitswesen – die polnische Regierung hat sich die Zerschlagung des Sozialstaates auf ihre Fahnen geschrieben

Von Tomasz Konicz, Poznan

Premier Tusk in Siegerpose – die Verlierer sind seine Wähler

Polens neoliberale Regierungsequipe um Premier Donald Tusk geht in die Offensive. In etlichen Gesellschaftsbereichen forciert die Koalition aus rechtsliberaler Bürgerplattform PO und zentristischer Bauernpartei PSL neoliberale Reformvorhaben, die in ihrer Konsequenz selbst in der osteuropäischen Peripherie der EU beispiellos sind. Die radikalsten Vorschläge gehen so weit, die Freizügigkeit der abhängig Beschäftigten Polens beschneiden und die »doppelte Freiheit« der Lohnarbeiter abschaffen zu wollen. »Du wirst nicht mehr straffrei deine Arbeit hinschmeißen dürfen« – so betitelte die von der Passauer Neuen Presse herausgegebene Tageszeitung Polska einen Artikel, der sich mit geplanten »radikalen Änderungen des Arbeitsrechts« beschäftigt. Laut dem Anfang August publizierten Bericht sieht die derzeit von den »Abgeordneten und Senatoren« diskutierte Gesetzesnovelle vor, Arbeiter zu bestrafen, die ohne Einverständnis ihres Chefs ihren Arbeitsplatz kurzfristig aufgeben. Kündigungen von Arbeitern seien derzeit eine »regelrechte Landplage« in polnischen Firmen, erklärte Witold Polkowski von der »Konföderation der Polnischen Arbeitgeber« gegenüber der Polska: »Die Leute gehen von einem Tag auf den anderen weg, sobald sie eine bessere Arbeit gefunden haben «, empörte sich Polkowski. Um dieser »kranken Situation« eines freien Arbeitsmarktes Herr zu werden, schlägt die liberale PO-Abgeordnete Hanna Zdanowska vor, die fristlos kündigenden Arbeiter mit einem Bußgeld von 5 000 Zloty (1 300 Euro) zu belegen. Selbstverständlich verlangen Polens vom Arbeitsrecht sehr verwöhnte Unternehmer zugleich, ihrerseits den Beschäftigten unter allen Umständen ohne jegliche Kompensationszahlungen fristlos kündigen zu dürfen. Im Rahmen dieser Reform sollen auch die Gewerkschaften Polens entmachtet werden. Sie müßten demnach für die – vom Unternehmer zu benennenden – Kosten von allen Streiks und Betriebsbesetzungen aufkommen, die von Gerichten für »illegal« erklärt werden. Zudem ist vorgesehen, daß bei Tarifverhandlungen künftig nur noch die »größte« Gewerkschaft im Betrieb aktiv teilnehmen darf – diese Regelung würde »gelben« unternehmerfreundlichen Arbeiterorganisationen Tür und Tor öffnen. Auf neue Hungerrenten müssen sich Polens Ruheständler einstellen. Ab Anfang Januar könnten die Pensionen in Polen »bis zu einem Viertel niedriger« ausfallen, meldete die Gazeta Wyborcza Ende Juli. Diese rabiate Senkung des Rentenniveaus resultiert aus der Entscheidung der Regierung, künftig keine staatlichen Zuzahlungen zu den Pensionen mehr zu gewähren. Dabei liegen die polnischen Renten ohnehin schon oftmals unter dem Existenzminimum. Viele Pensionäre müssen mit umgerechnet 300 bis 400 Euro monatlich auskommen – bei einem nahezu westeuropäischen Preisniveau und einer tatsächlichen Inflation von ca. acht Prozent. Jüngst berichtete die polnische Zeitung Super Express darüber, daß sogar der gesetzlich vorgeschriebene Inflationsausgleich für die Renten von der Regierung umgangen wird, indem sie den hierfür benutzten statistischen Warenkorb so weit manipuliert, daß die »offizielle« Inflationsrate bei nur noch 4,6 Prozent liegt. Schließlich kommt die von der PO angestrebte Privatisierung des polnischen Gesundheitswesens in Fahrt. Schon vor wenigen Wochen gingen von der Bürgerplattform regierte Städte dazu über, Krankenhäuser und Kliniken in Kapitalgesellschaften zusammenzufassen. Nun soll die staatliche Krankenversicherung NFZ in mehrere lokale Krankenkassen gespalten werden. Diese sollen dann ab 2011 als privatisierte Unternehmen in Konkurrenz zueinander treten. Das Ende des NFZ und die eingeleitete Privatisierung der Krankenversicherungen würde »unsere Gesundheit in bessere Hände legen «, titelte die Polska.

14.08.2008 / Ausland / Seite 6

Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/08-14/022.php (normalerweise nur mit online Abo zugänglich)